Die Zehlendorfer Hauskonzerte sind als Livestream zurück
Impressionen-Bis, Kultur-Almanach von Christa Blenk
Hauskonzert Nr. 1 – Reinhold Glière
Bevor Corona auch dem Musik- und Kulturleben im März ein Ende bereitet hat, waren die Zehlendorfer Wohnzimmerkonzerte eine feste Einrichtung und zählten zu den ganz besonderen Highlights im Berliner Musikleben. Glücklich konnte sich schätzen, wer einen der ca.40 Plätze im Wohnzimmer ergattern konnte. Fünf- bis sechsmal pro Monat haben diese exquisiten Konzerte, mit abwechslungsreichen Programmen und immer unterschiedlichen Musikern bis März 2020 stattgefunden.
Die Organisatorin hat nun nach fast drei Monaten Konzertpause beschlossen, dass sich diese Situation ändern müsse. Das Pfingstsonntag-Konzert fand als livestream statt und das Publikum war mit einem Klick dabei. Physisch anwesend im Wohnzimmer-Konzertsaal waren dieses Mal außer der Gastgeberin nur die Geigerin Luiza Labouriau und der Cellist Martin Knörzer. Wie oft bei den Konzerten in der Vergangenheit, kamen auch dieses Mal Werke zur Aufführung, die nicht zum Standard-Repertoire gehören, so die „Acht Duos für Violine und Violoncello“ op. 39 (Prelude, Gavotte, Berceuse, Canzonetta, Intermezzo, Impromptu, Scherzo und Etude) von Reinhold Glière.
Die spätromantische, dunkel-melancholische Prelude mündet in eine tanzende Gavotte, ein wunderbares Bachzitat, das im Mittelteil Musette-Töne hervorbringt. Die anschließende sanft-schnulzig und bittende Berceuse wird von einer melancholischen Canzonetta abgelöst, die uns weit in die russische Steppe hineinführt, die wir gleich darauf mit einem schwingenden Intermezzo, dem Lieblingsstück der Beiden übrigens, wieder verlassen. Ein inständiges und improvisiertes Impromptu erinnert an Skrjabin und ganz molto allegro kommt die Etude daher. Jetzt können die Solisten auch ihre feine Virtuosität unter Beweis stellen. Ein dreiteiliges Scherzo im 3/4 Takt fällt gelegentlich in den 2/4 Takt eines böhmischen Furiant-Tanzes und dann ist dieses sympathische und wunderbare Konzert auch schon zu Ende.
Die jungen Interpreten haben uns die Stücke zwischendurch kurz erklärt und mit viel Charme und Eleganz durch das Konzert geführt. Unsere Rufe von PC aus nach einer „Zugabe“ kamen natürlich nicht an.
Die dänisch-brasilianische Geigerin Luiza Labouriau lebt zurzeit in Berlin, wo sie u.a. mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und mit dem Ensemble der Deutscher Oper Berlin aufgetreten ist. Ausgezeichnet begleitet hat sie der Mannheimer Cellist Martin Knörzer. Die beiden spielen öfter im Duo zusammen und könnten ein neues „dream team“ werden.
Reinhold Glière (ursprünglich Glier – 1874-1956) war der Sohn eines deutschen Hornmachers in Kiew. Seine Großeltern mütterlicherseits stellten Holzinstrumente her. Schon bald machte sich seine musikalische Begabung bemerkbar und er konnte ab 1894 am Moskauer Konservatorium studieren. Das Studium der Komposition schloss er 1900 mit einer Goldmedaille ab. In dieser Zeit änderte er seinen Namen von Glier in Glière. Kurz darauf begann er am Moskauer Gnessin Institut zu unterrichten, wo Sergej Prokofjew zu seinen Schülern zählte. Zwischendurch hielt er sich immer wieder mal in Berlin zu Dirigierstudien auf. Diese Exkurse mischten die impressionistischen Farben in seine Werke, aber auch Borodin und Rimsky-Korsakov beeinflussten seine Kompositionen. Der ausgezeichnete Geiger unterrichtete ab 1913 am Kiewer Konservatorium und übernahm 1914 die Leitung dort. 1920 ging er nach Moskau und wurde Professor für Komposition am dortigen Konservatorium, wo er bis zu seiner Pensionierung 1941 blieb. Glière hat sich selber nie als politischer Komponist gesehen, war eher unpolitisch und konservativ. Er hat seinen Stil aus russischer Volksmusik, Spätromantik und Impressionismus nie wirklich verlassen und auch das 20. Jahrhundert musikalisch nicht betreten. Sein Cellokonzert op. 87 hat er Rostropowitsch gewidmet. Die delikaten und schönen „Acht Duette für Violine und Violoncello op 39“, die wir heute gehört haben, sind 1909 entstanden und waren wohl ursprünglich als Unterrichtswerke gedacht.
Wir „verlassen“ diese bezaubernde, bewegende und sehr gelungene livestreamPremiere mit der Bestätigung, dass das Musikleben über die aktuelle Pandemie hinaus weitergehen wird und erwarten sehnsüchtig das Hauskonzert Nr. 2!
Christa Blenk