Die letzte “Bonus”-Seite des in Straßburg gefundenden Exemplars der Goldbergvariationen. Die Stimmen sind teilweise in alten Schlüsseln und verschoben notiert!
Nr. 10: Alio modo, per syncopationes et per ligaturas, à 2 – Evolutio. Frei ins Deutsche übersetzt: Im alten Stil, durch Synkopen (rhythmische Verschiebungen) und Bindungen. Eigentlich ist dies ein zweistimmiger Kanon, den Bach dann auf den Kopf gestellt hat (gespiegelt in einer horizontalen Achse - hier "Evolutio”, normalerweise “Umkehrung”) und auf diese Weise als (Spiegel-) Kanons für vier Personen gespielt werden kann. Der Bass ist in der unteren linken Ecke:
Nr. 11: Canon duplex übers Fundament, à 5. Ein Doppelspiegelkanon über dem Bass. Der Bass bleibt derselbe, aber die anderen vier Stimmen sind paarweise übereinander gespiegelt - wenn eine Stimme hoch geht, geht die andere entsprechend runter. Im Video spiele ich links den Bass und rechts die vier gespiegelten Stimmen:
Nr. 14: Canon à 4, per Augmentationem et Diminutionem. Für diesen Kanon hat Bach nur die höchste Stimme aufgeschrieben und die Aufführung ganz dem Musiker überlassen - ein musikalisches Rätsel! (Der deutsche Musikwissenschaftler Christoph Wolff hat als erster das Rätsel gelöst und dies ist seine Version, die ich spiele). Übersetzt lautet der Titel “Kanon von vier durch Vergrößerung und Verkleinerung". Der Bass ist wieder derselbe, aber die Stimmen, die darüber erscheinen, werden jedes Mal verdoppelt.
Kanons kennen wir wohl fast alle aus der Kindheit - man singt dieselbe Melodie versetzt und es entsteht schöne Mehrstimmigkeit. Was viele vielleicht nicht wissen, ist, dass diese Art der Polyphonie sehr alt ist und auch mit vielen witzigen Variationen komponiert werden kann.
Man kann beispielsweise die zweite Stimme auf einem anderen Ton als die erste anfangen (transponiert), oder die Melodie in einer horizontalen Achse "spiegeln", so dass die Töne, die zuvor nach oben stiegen, entsprechend absteigen; oder man kann eine Stimme doppelt so schnell oder langsam ausführen wie die erste - es ist alles ein Kanon, solange eine Stimme die andere perfekt imitiert!
Auch bei Johann Sebastian Bachs berühmten Goldberg-Variationen durchziehen Kanons das Werk. Jede dritte Variation beinhaltet einen Kanon, wobei sich der Abstand zwischen beiden Stimmen jeweils um einen Ton erhöht (zuerst unisono, dann im Sekunden-Abstand, dann in einer Terz, Quarte, Quinte usw.). In sich schon eine beeindruckende Leistung! Dazu ist es auch einfach wundervolle Musik…
Aber nach den meisterhaften Variationen hatte der gute Meister Bach noch nicht genug von Kanons! Erst im Jahr 1974 wurde in Straßburg eine alte Kopie der ersten gedruckten Version der Goldberg-Variationen gefunden, wobei die letzte, bei anderen Versionen leere Seite voller Kritzeleien in Bachs Handschrift war. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Reihe kunstvoller Kanons handelte über der Bassstimme der ersten acht Takte der "Aria" (dem Thema aus den Goldberg-Variationen).
Und welche Kanons! Links von diesem Text ist ein Bild der genannten Seite für die besonders Neugierigen. Damit Sie sich ein wenig auf die wundervollen Variationen einstimmen können, habe ich diese Woche einige dieser schönen Kanons aufgenommen.
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Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören und bald wieder für Sie zu spielen!
Ihre kanonbeglückte Geigerin-Arrangeurin-Amateurtonmeisterin-Kamerafrau-und-Cutterin
Luiza Labouriau